"Die Ärzte"

Arno Dahmer • 4. Dezember 2024

Die Achtziger


Meinen ersten „Die Ärzte“-Song habe ich im Winter 1988 auf einer Party gehört und ich vermute, dass ich bereits 87 oder sogar schon 86 wusste, dass es diese Band gibt. Als westdeutscher Jugendlicher kam man in den Achtzigern an „Die Ärzte“ kaum vorbei. (Die Band selbst fasst den Artikel als undeklinierbaren Teil des Namens auf. Da hierdurch aber häufig schwer lesbare Konstruktionen entstehen, werde ich „Die Ärzte“ im Weiteren (grammatisch) wie eine Berufsbezeichnung behandeln – die Bandmitglieder mögen es mir vergeben.)


Mein Roman

 

Trotzdem war nicht unbedingt vorhersehbar, dass ich im August 2024, mittlerweile im 51. Lebensjahr, ein Ärzte-Konzert besuchen würde. Dass dies dennoch geschah, hat auch, aber nicht nur, mit meinem aktuellen Projekt zu tun.


Als ich 2021 mit Vorarbeiten dazu begann, gerade war nach langer Zeit ein neues Ärzte-Album erschienen, kam mir der Gedanke, den Stoff – zwei junge Männer versuchen um die Jahrtausendwende das zu tun, was sie sich unter „aussteigen“ vorstellen – in einen losen Bezug zu Ärzte-Songs zu setzen, ohne dies aber ins Zentrum des Buches zu rücken, sondern eher im Sinne eines „Soundtracks“ oder Running Gags. Dadurch entdeckte ich die Band noch einmal neu.

 

Mehr als "Westerland"


Die Ärzte polarisieren. Sie haben diesem Phänomen sogar ein Lied gewidmet („Ein Lied für dich“). Ich persönlich verorte mich zwar eindeutig auf der Pro-Seite, kann jedoch mehr anfangen mit dem, was ich Kuriositäten nennen würde, als mit Hits wie „Westerland“. Zu den herzerfrischenden Merkwürdigkeiten rechne ich etwa: „E.V.J.M.F.“, „Deine Freundin (wäre mir zu anstrengend)“, „Der Afro von Paul Breitner“, „Schopenhauer“, „Nazareth“ oder „Die Einsamkeit des Würstchens“.


Generell finde ich den Hinweis wichtig, dass die Band viel mehr ist als die drei, vier Stücke, die gelegentlich im Radio gespielt werden. Ihr Oeuvre umfasst ganz unterschiedliche Text- und Musikstile. Die Zuordnung zum Punkrock ist im Grunde fraglich, wenn man das Gesamtwerk betrachtet. Die Verschiedenartigkeit mag unter anderem mit der langen Bandgeschichte (42 Jahre!) sowie damit zu tun haben, dass alle drei „Ärzte“ Songwriter sind.

 

Was ließe sich sonst noch zur selbsternannten „besten Band der Welt“ sagen? Vielleicht, dass sie von kaum einer deutschsprachigen Gruppe an Wortwitz und ulkigen Ideen übertroffen wird. Genial allein der Einfall, ein ganzes Album verschiedenen Haar- und Barttrachten zu widmen („Le Frisur“, 1996). Und „irgendwie mein Herz gewonnen“ („Ein Lied für dich“) haben die Ärzte mit Zeilen wie: „Unser Streben nach Schönheit und Perfektion / Führt uns wieder zurück ans Mikrofon / Führt uns wieder zurück ins Rampenlicht / Aber eigentlich brauchen wir die Lampen nicht / Denn wir leuchten im Dunkeln, wir blitzen und funkeln / Das war ein Hendiadyoin / Das wird die Germanisten freuen“, mit Reimen wie: Coolnessfaktor/Gartentraktor oder Fleischermeister/Zugereister (letzterer stammt genau genommen von einem Soloalbum des Gitarristen Farin Urlaub).

 

Die Ärzte live


Doch zurück zu dem Konzert – eines von drei, die an aufeinanderfolgenden Tagen auf dem Tempelhofer Feld stattfanden, dem riesigen Gelände des ehemaligen Flughafens Berlin Tempelhof.


Die Ärzte gehören zu den Bands, die live besonders gut sind. Die Songs werden schneller gespielt, die Texte spontan variiert und hinzukommen die Dialoge von Farin Urlaub und Bela B, die eine Art eigenes Comedy-Genre sind: Im Kern ein heiteres Geplänkel, das nicht unter dem Diktat permanenten Witzig-Seins steht und so oder ähnlich auch hinter der Bühne stattfinden mag. All dies ist für Kenner der Band allerdings nichts Überraschendes. Erstaunlich wenigstens für mich war indes die Diversität des Publikums (bei YouTube bekommt man die Zuhörer ja eher selten zu Gesicht oder achtet nicht auf sie): Auf dem Tempelhofer Feld sah ich Menschen zwischen fünf und siebzig, sowohl den einen oder anderen Alt-Punk als auch ganze Familien mit „Die Ärzte“-T-Shirts. Das ist bemerkenswert und lustig, da die Band in den Achtzigern ausschließlich von Teenagern gehört wurde (mein Eindruck, statistische Daten liegen mir dazu nicht vor … 😉).


Entwicklung der Band


Man könnte mutmaßen, dass sich darin die Entwicklung der Ärzte spiegelt: von purer Albernheit und lustvoller Niveauunterschreitung („Ich liebe ein Mädchen, die wäscht sich nie / Unterhalb und überm Knie“) hin (auch) zu ernsteren Themen wie Neofaschismus und gelegentlichen moralischen Appellen („Wie wär’s mit wählen gehen?“). Vielleicht ist es aber auch schlicht so, dass viele ihrer Anhänger der Band über Jahrzehnte treu geblieben, doch unweigerlich älter geworden sind, während „BelaFarinRod“ – wie man in Fankreisen sagt - zugleich noch immer ein junges und sehr junges Publikum anzieht. Und offenbar ist die Ärzte-Begeisterung mittlerweile bereits ins Erbgut mancher Familien eingedrungen. - Wer hätte das vor 36 Jahren gedacht?


Quellennachweis: Liedtexte zitiert nach https://www.bademeister.com/songs sowie https://www.farin-urlaub.de/songs/gluecklich und https://www.lyrics.com/sublyric/97486/Die+%C3%84rzte/E.V.J.M.F.

Peter Kurzeck: Frankfurt - Paris - Frankfurt
von Arno Dahmer 5. Februar 2025
Das Ende des "alten Jahrhunderts" „Mit Frankfurt – Paris – Frankfurt“ ist nun der letzte (vorhandene) Band von Peter Kurzecks autobiografischem Romanzyklus „Das alte Jahrhundert“ erschienen. Es ist das vierte posthum publizierte Buch des 2013 verstorbenen Autors. Inhalt 1977 ziehen Peter und seine Freundin Sibylle von Stauffenberg (bei Gießen) in den Frankfurter Stadtteil Bockenheim. Der Hauptgrund dafür scheint ein Kontakt zum Suhrkamp-Verlag zu sein, der seinen Sitz damals im nahegelegenen Westend hatte. Ein dort tätiger Lektor hatte Interesse an Kurzecks erstem Roman bekundet und nun bringt der Autor ihm alle paar Tage frisch getippte Seiten vorbei – eine aus heutiger Sicht ja unvorstellbare Arbeitsweise. (Noch unglaublicher wirkt, wie es zu der ersten Begegnung von Kurzeck und dem Lektor kam: Anscheinend gewährte dieser dem seinerzeit völlig unbekannten Schriftsteller eine Audienz in den Verlagsräumen, ohne vorab auch nur eine Zeile von ihm gelesen zu haben. Ach, die Siebziger ...) In Frankfurt steht Peter in engem Kontakt mit seinem Freund Jürgen, der die Stadt allerdings schon bald fluchtartig in Richtung Paris verlässt. Peter, Sibylle und Jürgens Freundin Doris reisen ihm hinterher und verbringen gemeinsam einige rauschhafte Tage in der „ville de l’ amour“. Doch offenbar ist auch Paris für Jürgen kein sicherer Aufenthaltsort: Er flieht weiter nach Spanien, während die anderen nach Deutschland zurückkehren. Hier widmet sich Kurzeck erneut der Reinschrift seines Manuskripts und entdeckt Frankfurt. Vergleich mit den anderen Bänden In der vorliegenden Form halte ich „Frankfurt – Paris – Frankfurt“ für den schwächsten Band des „Alten Jahrhunderts“: Die Sprache empfinde ich als weniger temporeich und rhythmisch, als insgesamt weniger rund. Inhaltlich wirkt manches nicht ausgeformt: Zum Beispiel scheint Paris im Wesentlichen aus Essen, Trinken und Ortsnamen zu bestehen und es bleibt völlig im Dunkeln, warum Jürgen in Frankfurt der Boden unter den Füßen zu heiß wird. Dass dies vermutlich etwas mit seinen wie auch immer gearteten RAF-Kontakten zu tun hat, kann man sich eigentlich nur dann zusammenreimen, wenn man relativ viel über den sogenannten Deutschen Herbst bzw. die Vita des Verfassers weiß. Für das Obengesagte habe ich zwei Erklärungen: Erstens hätte Kurzeck den Text vor einer Veröffentlichung sicher noch überarbeitet (was aber auch im Hinblick auf die anderen nachgelassenen Werke anzunehmen ist). Zweitens war der spezifische „Alte Jahrhundert“-Stil zum Zeitpunkt der Niederschrift möglicherweise noch nicht zur Blüte gelangt. Man muss bedenken, dass „Frankfurt – Paris – Frankfurt“ laut Editionsbericht zu einem sehr frühen Zeitpunkt entstand (1992-95), die Arbeit an den übrigen Bänden sich dagegen über die zwei Jahrzehnte danach erstreckte. Der Autor legte das Typoskript des „Parisbuchs“ 1995 beiseite, denn er war mittlerweile der Ansicht, es müsse innerhalb der geplanten Romanreihe weiter nach hinten rücken. Intensive Leseerfahrung Obwohl also andere Bände der autobiografisch-poetischen „Chronik“ gelungener sein mögen, ist auch dieses Buch wieder ein Geschenk: lebensvoll, gleichsam lichtdurchtränkt, eine intensive Leseerfahrung. Für Kenner des Kurzeck-Universums ist überdies spannend, dass die Handlung in den Siebzigern spielt – während ansonsten große Teile des „Alten Jahrhunderts“ innerhalb weniger Monate der Jahre 1983 und 1984 angesiedelt sind: „Frankfurt – Paris – Frankfurt“ erhält dadurch ein spürbar anderes Aroma.
Das
von Arno Dahmer 29. November 2024
Das „Deutsche Wörterbuch“ von Jacob und Wilhelm Grimm ... Eine der meiner Meinung nach beeindruckendsten kulturellen Leistungen überhaupt. Wobei man „beeindruckend“ getrost durch „ehrfurchtgebietend“ ersetzen kann. Entstanden zwischen 1838 und 1961, also über einen Zeitraum von 123 Jahren! Schade ist, dass die 1965 begonnene Neubearbeitung schon beim Buchstaben „F“ beendet wurde – wegen „mangelnder Finanzierungsbereitschaft“. Dass diese Bereitschaft offenbar über zwei Weltkriege und die deutsche Teilung hinweg bestand, mittlerweile aber nicht mehr, sagt viel über den Stellenwert von Kultur in der heutigen Zeit. „Die sprache ist allen bekannt und ein geheimnis.“ (Jacob Grimm - der die generelle Kleinschreibung bevorzugte ...) Siehe auch: http://dwb.uni-trier.de/de/das-woerterbuch/das-dwb/ .
Der Schriftsteller Arno Dahmer auf dem Henkersteg in Nürnberg
von Arno Dahmer 29. November 2024
Im April – ja, die Zeit eilt! – habe ich einen „Rechercheausflug“ nach Nürnberg unternommen, das wegen der örtlichen Nähe zur Fränkischen Schweiz eine gewisse Rolle in meinem Roman spielt. Für mich persönlich war die Fahrt dorthin auch eine Reise in die Vergangenheit, weil ich vor rund zwanzig Jahren eine Zeitlang in Nürnberg gelebt habe. Einen eigenen Charme hat die Südstadt. Ich stoße hier fast alle hundert Meter auf etwas, was mich schmunzeln lässt (siehe Fotos). Im Roman wird sie zum Schauplatz einer wichtigen Begegnung zweier Figuren.
Auszug aus Arno Dahmers Roman
von Arno Dahmer 5. September 2024
Mit Auszügen aus Großtexten ist es so eine Sache. Ich habe immer gewisse Bedenken, damit an die Öffentlichkeit zu treten, zumal wenn ich noch „wie ein Pflugstier“ (Adalbert Stifter) an dem Text arbeite. Repräsentiert der Teil das Ganze überhaupt angemessen? Wird sich das Projekt vielleicht noch einmal in eine völlig andere Richtung entwickeln und der Auszug deshalb schon bald überholt sein? Das sind einige der Fragen, die sich mir in diesem Zusammenhang stellen. Nun wollte ich aber das sehr nette Angebot des „Literaturblatts“, einen aktuellen Text von mir zu publizieren, natürlich auch nicht ausschlagen: Unter https://literaturblatt.ch/arno-dahmer/ ist seit Montag ein Kapitel zu finden, das im fertigen Roman (siehe: https://www.arno-dahmer.de/2024 ) in dieser oder ähnlicher Form voraussichtlich eines der ersten sein wird.
Knausgård: Min kamp
von Arno Dahmer 11. Juli 2024
Die Bände "Sterben" und "Lieben" Von Karl Ove Knausgards sechsteiligem, autobiografischem „Min kamp“-Zyklus habe ich die Bände „Sterben“ und „Lieben“ gelesen (um genau zu sein, auch jeweils einen Teil von „Spielen“ und „Leben“). Den Inhalt dieser beide Romane werde ich nicht im Detail nacherzählen, da bereits eine Fülle von Rezensionen im Internet zu finden ist. Stattdessen möchte ich eine persönliche Einschätzung abgeben. Kurz zusammengefasst geht es in „Sterben“ um das schwierige Verhältnis des Ich-Erzählers zu seinem gruselig soziopathischen Vater, in „Lieben“ um die ebenfalls nicht unkomplizierte Beziehung mit seiner (späteren) Frau Linda. Ich fand es äußerst schwierig, zu einem Urteil zu kommen, war hin- und hergerissen zwischen Faszination und einem gewissen ästhetischen Unbehagen. Störendes Zunächst möchte ich auf das eingehen, was mich gestört hat, um dann mit dem Positiven enden zu können: Die Romane enthalten viele Reflexionen. Das ist etwas, was ich bei literarischen Werken im Allgemeinen sehr schätze. Bei Knausgard hatte ich allerdings oft das Gefühl, einen interessanten Gedanken eher zu ahnen als zu erfassen. Mir schien, es bedürfte präziserer und kraftvollerer Formulierungen, um die Gedanken vollständig zu tragen – die so zum Teil etwas nebulös bleiben. Da ich des Norwegischen nicht mächtig bin, kann ich mich hierbei natürlich nur auf die Übersetzung beziehen. Gut möglich, dass sich der Text im Original anders liest. Als problematisch habe ich auch die (zahlreichen) Schauplatzbeschreibungen empfunden. Meist sind sie sehr verschachtelt. „Hinter dem Haus lag ein Garten, in dem eine Hütte stand. Rechts davon war ein Rasenmäher zu sehen, während sich links davon eine weitere, kleinere Hütte befand, auf deren Fensterbrett eine Katze saß.“ Gut, ich gebe zu, das ist ein von mir erfundenes, leicht übertriebenes Beispiel, mit dem ich verdeutlichen will, was ich meine ... Ein klares Bild hatte ich anhand derartiger Schilderungen in der Regel nicht vor Augen, vielmehr habe ich diese Passagen als Hindernisse wahrgenommen, die man als Leser mühsam, aber ohne wirklichen Gewinn überklettert. Zudem bleiben viele Figuren farblos. Die Zahl der auftretenden Personen – die Mitschüler, Familienmitglieder, Freunde, Partnerinnen, Autorenkollegen usw. – ist indes auch gewaltig. Sehr lebendig werden andererseits Vater und Frau sowie der autobiografische Erzähler selbst. Positives Woran liegt es nun aber, dass die „Min kamp“-Bände für mich trotzdem die Art von Buch waren, die man weiterliest, gewissermaßen weiterlesen muss ? (Knausgard scheint sich dieser Wirkung auf seine Leser bewusst zu sein, denn er lässt sein Alter Ego Karl Ove etwas Ähnliches über eines seiner frühen Werke sagen.) Einer der Gründe dafür ist, scheint mir, der pure „Stoff“ – die zum Teil unglaublichen Begebenheiten, von denen der Autor erzählt. Etwa ist es eine ebenso grausige wie tief beeindruckende Szene, wenn beschrieben wird, wie Karl Ove, sein älterer Bruder Yngve und ihre Großmutter gemeinsam Wodka bechern. Sie tun dies nämlich im selben Haus, in dem ihr Vater bzw. Sohn sich zu Tode getrunken hat, und nur wenige Stunden nach dessen Ableben. Überdies stellt sich dabei heraus, dass die Großmutter anscheinend selbst schon tief im Alkoholismus steckt und wohl nur nicht wagte, im Beisein ihrer Enkel allein zur Flasche zu greifen. So dement, wie sie zunächst schien, ist sie offenbar aber nicht, denn Glas um Glas läuft sie zu alter Form auf. Auf der anderen Seite ist es die ungeschönte Darstellung von eher Unspektakulärem, Alltäglichem, die fasziniert. Zum Beispiel habe ich noch nie eine derart realistische, nicht verkitschte Beschreibung des Lebens mit Kleinkindern gelesen, die in der Literatur, wenn überhaupt, ja meist nur als eine Art dekoratives Element vorkommen. Generell ist die Erbarmungslosigkeit sich selbst gegenüber Knausgards Markenzeichen und die größte Stärke seines Schreibens. Es scheint, als kaschiere er so gut wie nichts. Knausgard nimmt es in Kauf, vor dem Leser oft ziemlich schlecht dazustehen. Meiner Meinung nach schafft er aber gerade dadurch eine Basis für Identifikation, denn kalt, egozentrisch usw. sind wir gelegentlich ja alle, auch wenn wir es uns nicht so gern eingestehen. Vielleicht ist eine solche Schonungslosigkeit überhaupt der einzig gangbare Weg, wenn man so nah am eigenen Leben erzählt (wie nah wirklich, das weiß natürlich nur Knausgard selbst) und zumal wenn das Werk den sicher auch im Norwegischen nicht ganz unverfänglichen Titel „Min kamp“ trägt (ins Deutsche wird das wohlweislich nicht übersetzt). Fazit Abschließend möchte ich betonen, dass sich die Knausgard-Lektüre lohnt, was sich meines Erachtens jedoch vor allem dem Inhalt und der Radikalität des Bekenntnisses verdankt. Wer ein fein ziseliertes literarisches Werk erwartet, könnte enttäuscht werden.
von Arno Dahmer 6. März 2024
Eines der interessantesten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, ist „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann. Die Qualität dieses Romans hat mich regelrecht verblüfft, denn das Buch erschien bereits 1974 und bis vor kurzem kannte ich nicht einmal den Namen der Autorin – was damit zu tun haben könnte, dass ich in Westdeutschland aufgewachsen bin. „Franziska Linkerhand“ erzählt von einer jungen Architektin, die mit ihrem Ideal eines menschenwürdigen Städtebaus an den Realitäten des DDR-Systems scheitert. Vieles daran hat mich fasziniert: Die melodische Sprache, die packenden Dialoge, der innere Konflikt der Hauptfigur, die den Realsozialismus einerseits bejaht (was zum Teil eine Rebellion gegen ihr bourgeoises Elternhaus zu sein scheint), andererseits kritisch sieht, und vor allem eine Figurenzeichnung, die in der neueren deutschen Literatur ihresgleichen sucht. Genial ist etwa das Porträt des sympathischen „Don Juans“ Jazwauk oder auch, wie der prinzipientreue Vorgesetzte Schafheutlin charakterisiert wird (allein der Name!). Lediglich die Figur Trojanowicz (Franziskas „Amour fou“) fand ich in ihrer James-Bond-Coolness etwas klischeehaft. (Mag sein, dass es hier eher eine bestimmte Art gestriger Männlichkeit ist, die – in tendenziell verherrlichender Weise dargestellt – aus heutiger Sicht schablonenhaft wirkt, wenigstens auf mich.) Interessant fand ich auch die „DDR-Binnenperspektive“, die das Buch natürlich spürbar von nach dem Mauerfall geschriebenen literarischen Werken mit DDR-Thematik unterscheidet. Einschränkend muss ich sagen, dass der Impuls, das Buch weiterzulesen, bei mir nach etwa zwei Dritteln nachließ. Ich fragte mich, worauf das Ganze hinauslaufen solle. Zwar kann man der Autorin gewisse dramaturgische Mängel nicht anlasten: Sie starb schon 1973, das Werk blieb unvollendet. Indes ging es mir mit „Franziska Linkerhand“ ähnlich wie mit den Romanen Kafkas (die ja alle Fragmente sind): Sie haben mich tief beeindruckt und doch konnte ich mir kaum vorstellen, wie sich diesen Torsi ein befriedigendes Ende anfügen ließe. Dennoch: Wenn ich eine Liste mit zwanzig lesenswerten, nach 1945 erschienenen Romanen in deutscher Sprache erstellen sollte, fände „Franziska Linkerhand“ darauf sicher einen Platz.
Alte und neue Recherchematerialien
von Arno Dahmer 13. Februar 2024
Ein neues Jahr hat begonnen und während 2023 geprägt war von allerlei Aktivitäten rund um den „Mythos“ , merke ich nun, wie der Schwerpunkt sich langsam auf die Arbeit an meinem neuen Roman verlagert. Zwar habe ich vor, 2024 noch einiges „Mythische“ zu tun, möchte andererseits aber auch das neue Buch fertigschreiben. Ja, zu Ende schreiben . (Und, um mir selbst ein bisschen Druck zu machen, teile ich diesen Entschluss jetzt öffentlich mit.) Mein Weg wird mich 2024 daher voraussichtlich sogar noch mehrere Male in die Fränkische Schweiz führen, an den Hauptschauplatz des Romans also. Das Sportklettern spielt darin eine wichtige Rolle (Felsklettern auf eher hohem Schwierigkeitsniveau, vor allem in Mittelgebirgen), insbesondere das Ideal eines einfachen und alternativen Lebens, das zumindest bis vor einiger Zeit noch eng damit verknüpft war – eine gewisse Hippie- und Aussteigerromantik, wenn man so will. Dies mag schon zeigen, dass ich nicht beabsichtige, ein „Sportbuch“ zu schreiben (was nicht verkehrt wäre), auch wenn Kletterer darin sicher manches wiedererkennen werden. Vielmehr kristallisiert sich „Freundschaft“ als eigentliches Thema heraus. Es geht mir dabei um die Freundschaften, die man in der frühen Jugend schließt – sagen wir: mit etwa zwanzig. In dieser Lebensphase wird Freundschaft ja sehr intensiv erlebt – ich wage es, zu verallgemeinern – und ist gerade deshalb auch mit zahlreichen Enttäuschungen und Verletzungen verbunden. In vieler Hinsicht wird der neue Roman ein „Anti- Mythos “ sein (Perspektive, Thematik, Ton, Alter der Hauptfigur, ...). Stände ich bei einer Literaturagentur unter Vertrag, würde man nun womöglich befürchten, dass ich meine „Zielgruppe“ düpiere. Da ich aber annehme, dass meine Zielgruppe schlicht Leser sind, die gut geschriebene Texte mögen, und gleichzeitig wenigstens hoffe, dieser „Vorliebe“ gerecht zu werden, mache ich mir nicht so viele Sorgen.
Stefan George, Aus dem Nachlass
von Arno Dahmer 8. Januar 2024
„Das ist eben die aufgabe die weite des innern raumes mit der enge des äussern ständig zu vereinbaren.“ Aphorismus aus dem Nachlass Stefan Georges (Stefan George, „Von Kultur und Göttern reden“, Aus dem Nachlass , Stuttgart 2018; S. 77)
Arno Dahmer liest auf der Leipziger Buchmesse 2017
von Arno Dahmer 28. Oktober 2023
Mehr als sechs Jahre ist es nun her, dass ich im Rahmen der Leipziger Buchmesse meinen Erzählband Manchmal eine Stunde, da bist Du vorstellte ... Die Lesung fand im Café Puschkin statt.
Autorengruppe
von Arno Dahmer 27. Oktober 2023
Leider ist Walter Jauernich , der großartige Schauspieler und Autor, bereits 2019 gestorben, was mir immer noch sehr nachgeht ...
Weitere Beiträge