"Hausmitteilungen"

Die Achtziger Meinen ersten „Die Ärzte“-Song habe ich im Winter 1988 auf einer Party gehört und ich vermute, dass ich bereits 87 oder sogar schon 86 wusste, dass es diese Band gibt. Als westdeutscher Jugendlicher kam man in den Achtzigern an „Die Ärzte“ kaum vorbei. (Die Band selbst fasst den Artikel als undeklinierbaren Teil des Namens auf. Da hierdurch aber häufig schwer lesbare Konstruktionen entstehen, werde ich „Die Ärzte“ im Weiteren (grammatisch) wie eine Berufsbezeichnung behandeln – die Bandmitglieder mögen es mir vergeben.) Mein Roman Trotzdem war nicht unbedingt vorhersehbar, dass ich im August 2024, mittlerweile im 51. Lebensjahr, ein Ärzte-Konzert besuchen würde. Dass dies dennoch geschah, hat auch, aber nicht nur, mit meinem aktuellen Projekt zu tun. Als ich 2021 mit Vorarbeiten dazu begann, gerade war nach langer Zeit ein neues Ärzte-Album erschienen, kam mir der Gedanke, den Stoff – zwei junge Männer versuchen um die Jahrtausendwende das zu tun, was sie sich unter „aussteigen“ vorstellen – in einen losen Bezug zu Ärzte-Songs zu setzen, ohne dies aber ins Zentrum des Buches zu rücken, sondern eher im Sinne eines „Soundtracks“ oder Running Gags. Dadurch entdeckte ich die Band noch einmal neu. Mehr als "Westerland" Die Ärzte polarisieren. Sie haben diesem Phänomen sogar ein Lied gewidmet („Ein Lied für dich“). Ich persönlich verorte mich zwar eindeutig auf der Pro-Seite, kann jedoch mehr anfangen mit dem, was ich Kuriositäten nennen würde, als mit Hits wie „Westerland“. Zu den herzerfrischenden Merkwürdigkeiten rechne ich etwa: „E.V.J.M.F.“, „Deine Freundin (wäre mir zu anstrengend)“, „Der Afro von Paul Breitner“, „Schopenhauer“, „Nazareth“ oder „Die Einsamkeit des Würstchens“. Generell finde ich den Hinweis wichtig, dass die Band viel mehr ist als die drei, vier Stücke, die gelegentlich im Radio gespielt werden. Ihr Oeuvre umfasst ganz unterschiedliche Text- und Musikstile. Die Zuordnung zum Punkrock ist im Grunde fraglich, wenn man das Gesamtwerk betrachtet. Die Verschiedenartigkeit mag unter anderem mit der langen Bandgeschichte (42 Jahre!) sowie damit zu tun haben, dass alle drei „Ärzte“ Songwriter sind. Was ließe sich sonst noch zur selbsternannten „besten Band der Welt“ sagen? Vielleicht, dass sie von kaum einer deutschsprachigen Gruppe an Wortwitz und ulkigen Ideen übertroffen wird. Genial allein der Einfall, ein ganzes Album verschiedenen Haar- und Barttrachten zu widmen („Le Frisur“, 1996). Und „irgendwie mein Herz gewonnen“ („Ein Lied für dich“) haben die Ärzte mit Zeilen wie: „Unser Streben nach Schönheit und Perfektion / Führt uns wieder zurück ans Mikrofon / Führt uns wieder zurück ins Rampenlicht / Aber eigentlich brauchen wir die Lampen nicht / Denn wir leuchten im Dunkeln, wir blitzen und funkeln / Das war ein Hendiadyoin / Das wird die Germanisten freuen“, mit Reimen wie: Coolnessfaktor/Gartentraktor oder Fleischermeister/Zugereister (letzterer stammt genau genommen von einem Soloalbum des Gitarristen Farin Urlaub). Die Ärzte live Doch zurück zu dem Konzert – eines von drei, die an aufeinanderfolgenden Tagen auf dem Tempelhofer Feld stattfanden, dem riesigen Gelände des ehemaligen Flughafens Berlin Tempelhof. Die Ärzte gehören zu den Bands, die live besonders gut sind. Die Songs werden schneller gespielt, die Texte spontan variiert und hinzukommen die Dialoge von Farin Urlaub und Bela B, die eine Art eigenes Comedy-Genre sind: Im Kern ein heiteres Geplänkel, das nicht unter dem Diktat permanenten Witzig-Seins steht und so oder ähnlich auch hinter der Bühne stattfinden mag. All dies ist für Kenner der Band allerdings nichts Überraschendes. Erstaunlich wenigstens für mich war indes die Diversität des Publikums (bei YouTube bekommt man die Zuhörer ja eher selten zu Gesicht oder achtet nicht auf sie): Auf dem Tempelhofer Feld sah ich Menschen zwischen fünf und siebzig, sowohl den einen oder anderen Alt-Punk als auch ganze Familien mit „Die Ärzte“-T-Shirts. Das ist bemerkenswert und lustig, da die Band in den Achtzigern ausschließlich von Teenagern gehört wurde (mein Eindruck, statistische Daten liegen mir dazu nicht vor … 😉). Entwicklung der Band Man könnte mutmaßen, dass sich darin die Entwicklung der Ärzte spiegelt: von purer Albernheit und lustvoller Niveauunterschreitung („Ich liebe ein Mädchen, die wäscht sich nie / Unterhalb und überm Knie“) hin (auch) zu ernsteren Themen wie Neofaschismus und gelegentlichen moralischen Appellen („Wie wär’s mit wählen gehen?“). Vielleicht ist es aber auch schlicht so, dass viele ihrer Anhänger der Band über Jahrzehnte treu geblieben, doch unweigerlich älter geworden sind, während „BelaFarinRod“ – wie man in Fankreisen sagt - zugleich noch immer ein junges und sehr junges Publikum anzieht. Und offenbar ist die Ärzte-Begeisterung mittlerweile bereits ins Erbgut mancher Familien eingedrungen. - Wer hätte das vor 36 Jahren gedacht? Quellennachweis: Liedtexte zitiert nach https://www.bademeister.com/songs sowie https://www.farin-urlaub.de/songs/gluecklich und https://www.lyrics.com/sublyric/97486/Die+%C3%84rzte/E.V.J.M.F .

Im April – ja, die Zeit eilt! – habe ich einen „Rechercheausflug“ nach Nürnberg unternommen, das wegen der örtlichen Nähe zur Fränkischen Schweiz eine gewisse Rolle in meinem Roman spielt. Für mich persönlich war die Fahrt dorthin auch eine Reise in die Vergangenheit, weil ich vor rund zwanzig Jahren eine Zeitlang in Nürnberg gelebt habe. Einen eigenen Charme hat die Südstadt. Ich stoße hier fast alle hundert Meter auf etwas, was mich schmunzeln lässt (siehe Fotos). Im Roman wird sie zum Schauplatz einer wichtigen Begegnung zweier Figuren.

Mit Auszügen aus Großtexten ist es so eine Sache. Ich habe immer gewisse Bedenken, damit an die Öffentlichkeit zu treten, zumal wenn ich noch „wie ein Pflugstier“ (Adalbert Stifter) an dem Text arbeite. Repräsentiert der Teil das Ganze überhaupt angemessen? Wird sich das Projekt vielleicht noch einmal in eine völlig andere Richtung entwickeln und der Auszug deshalb schon bald überholt sein? Das sind einige der Fragen, die sich mir in diesem Zusammenhang stellen. Nun wollte ich aber das sehr nette Angebot des „Literaturblatts“, einen aktuellen Text von mir zu publizieren, natürlich auch nicht ausschlagen: Unter https://literaturblatt.ch/arno-dahmer/ ist seit Montag ein Kapitel zu finden, das im fertigen Roman (siehe: https://www.arno-dahmer.de/2024 ) in dieser oder ähnlicher Form voraussichtlich eines der ersten sein wird.

Ein neues Jahr hat begonnen und während 2023 geprägt war von allerlei Aktivitäten rund um den „Mythos“ , merke ich nun, wie der Schwerpunkt sich langsam auf die Arbeit an meinem neuen Roman verlagert. Zwar habe ich vor, 2024 noch einiges „Mythische“ zu tun, möchte andererseits aber auch das neue Buch fertigschreiben. Ja, zu Ende schreiben . (Und, um mir selbst ein bisschen Druck zu machen, teile ich diesen Entschluss jetzt öffentlich mit.) Mein Weg wird mich 2024 daher voraussichtlich sogar noch mehrere Male in die Fränkische Schweiz führen, an den Hauptschauplatz des Romans also. Das Sportklettern spielt darin eine wichtige Rolle (Felsklettern auf eher hohem Schwierigkeitsniveau, vor allem in Mittelgebirgen), insbesondere das Ideal eines einfachen und alternativen Lebens, das zumindest bis vor einiger Zeit noch eng damit verknüpft war – eine gewisse Hippie- und Aussteigerromantik, wenn man so will. Dies mag schon zeigen, dass ich nicht beabsichtige, ein „Sportbuch“ zu schreiben (was nicht verkehrt wäre), auch wenn Kletterer darin sicher manches wiedererkennen werden. Vielmehr kristallisiert sich „Freundschaft“ als eigentliches Thema heraus. Es geht mir dabei um die Freundschaften, die man in der frühen Jugend schließt – sagen wir: mit etwa zwanzig. In dieser Lebensphase wird Freundschaft ja sehr intensiv erlebt – ich wage es, zu verallgemeinern – und ist gerade deshalb auch mit zahlreichen Enttäuschungen und Verletzungen verbunden. In vieler Hinsicht wird der neue Roman ein „Anti- Mythos “ sein (Perspektive, Thematik, Ton, Alter der Hauptfigur, ...). Stände ich bei einer Literaturagentur unter Vertrag, würde man nun womöglich befürchten, dass ich meine „Zielgruppe“ düpiere. Da ich aber annehme, dass meine Zielgruppe schlicht Leser sind, die gut geschriebene Texte mögen, und gleichzeitig wenigstens hoffe, dieser „Vorliebe“ gerecht zu werden, mache ich mir nicht so viele Sorgen.

„Hof“ klingt für mich irgendwie nach Abgeschiedenheit und Menschenleere – was zu meinem Text in gewisser Weise gepasst hätte, zu einer Lesung allerdings eher nicht. Doch war der Innenhof der „Landbäckerei Krell“ zum Glück gut besucht, als ich dort aus meinem Roman vortrug – vergangenen Samstag, im Rahmen des Literaturfests Meißen . Nach einem Abstecher zum Stand des Mirabilis-Verlags auf dem Heinrichsplatz steuerte ich später noch – mit zwei Dritteln des kul-ja -Teams (und einigen Mirabilis-Neuerscheinungen im Gepäck) – einen anderen keineswegs menschenleeren Hof an, den „Brunnenhof“, um die Lesung meines Verlagskollegen Jörn Hühnerbein zu hören. Der besondere Reiz von Jörn Hühnerbeins Prosastücken besteht aus meiner Sicht in dem Kontrast zwischen einem äußerst nüchternen Ton und der vollkommenen Absurdität des Beschriebenen – so etwa in der Miniatur „Im Kühlschrank“, wo ein Mann sich den eigenen Kühlschrank zum neuen Wohnsitz erkoren hat.

Heute schickte mir mein Lektor Stephan Herbst die Druckfahnen des Romans Ein Mythos von mir . Damit ist für mich das Ziel einer langen – sehr langen! – Reise erreicht. Sie begann im Jahr 2012. Während eines Urlaubs im Hochtaunus kam mir der Gedanke, an einem solchen – auf den ersten Blick „ereignisarmen“ – Schauplatz eine ereignisreiche Geschichte anzusiedeln (für den Roman habe ich letztlich einen Handlungsort erfunden, der aber eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Taunus hat). Dazu gesellte sich rasch die Idee, dass die Hauptfigur ein, möglichst skurriler, Kursleiter in der Erwachsenenbildung sein sollte. Mich reizte es zudem, Stoff zu verwerten, den ich aus meiner eigenen, langjährigen Tätigkeit als Dozent für Deutsch als Fremdsprache destilliert hatte. Dieser „Stoff“ findet sich im Roman in einer auf die Figur zugeschnittenen, stark überspitzten Form wieder. Es möge nun niemand darauf verfallen, dass Deutschkurse tatsächlich so abliefen, wie im Roman beschrieben: Die entsprechenden Szenen sind realistisch und (wie ich hoffe) stimmig, sofern man sie auf die „Realität“ des Romans bezieht, nicht aber (wie ich ebenfalls hoffe) im Hinblick auf die Wirklichkeit außerhalb desselben. Mittlerweile scheint mir übrigens, dass ich nicht nur einen philosophischen und satirischen Roman, sondern auch einen Ghosting -Roman geschrieben habe, obwohl ich das Wort bis vor kurzem nicht kannte und das entsprechende Phänomen auch nicht unbedingt für zeittypisch gehalten hätte. Regelrecht faszinierend finde ich, dass der Begriff offenbar exakt zu dem Zeitpunkt im deutschen Sprachraum aufgetaucht ist, zu dem ich mir die ersten Notizen zu meinem Roman machte (siehe Grafik ). Beim Schreiben fühlte ich mich Lichtjahre vom Zeitgeist entfernt, aber, wie man sieht, war ich ihm womöglich näher, als ich glaubte. Und das ist nun wiederum interessant in Bezug auf ein anderes, zentrales Thema des Romans, nämlich die Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit des Einzelnen von der Gesellschaft …

Der Text, auf den ich hier verlinke, beansprucht nicht, mehr als ein Wortspiel zu sein, eine Assoziationskette – vor einem allerdings ernsten Hintergrund. Walter Pobaschnig betreibt die interessante Website Literatur outdoors . Gern bin ich seiner Einladung gefolgt, ein Akrostichon zu dem Satz „Give peace a chance“ zu schreiben, denn „dem Frieden eine Chance zu geben“, gelingt (Teilen) der Menschheit ja offenbar und schwerverständlicherweise immer nur für einige Jahre. (Ein Akrostichon, auch Leistengedicht genannt, ist eine poetische Form, bei der in der Regel die Anfangsbuchstaben der Zeilen zusammengesetzt einen eigenen Sinn ergeben.)

Am Donnerstag und Freitag fand hier, im Internationalen Schriftsteller- und Übersetzerhaus , eine Veranstaltung mit Studentinnen (ja, es waren tatsächlich nur Frauen) der Universität Liepaja statt, die dort einen Master in „Writing Studies“ machen. Ich habe drei kurze, eher lyrische Texte vorgetragen (und auf Englisch ein paar Worte zum Inhalt gesagt) und mit den Anwesenden über die Frage gesprochen, wie es gelingen könnte, als „Vollzeit-Autor“ zu leben. Dazu hatte ich vor dem Hintergrund eigener, teils durchaus schmerzlicher Erfahrungen einiges zu sagen. Die Studentinnen schien das Thema ebenfalls zu interessieren: Die Diskussion war sehr lebhaft. Und mein lausiges Englisch hat mich dabei kaum behindert … Für mich war dieses Seminar – fast – schon das Finale meines Aufenthalts hier. Mittlerweile habe ich das Gefühl, auf meinen Abreisetag Ende nächster Woche zuzurollen – noch langsam, aber mit zunehmender Geschwindigkeit … Siehe auch den (älteren) Beitrag Lettland/Latvija .