von Arno Dahmer
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11. Juli 2024
Die Bände "Sterben" und "Lieben" Von Karl Ove Knausgards sechsteiligem, autobiografischem „Min kamp“-Zyklus habe ich die Bände „Sterben“ und „Lieben“ gelesen (um genau zu sein, auch jeweils einen Teil von „Spielen“ und „Leben“). Den Inhalt dieser beide Romane werde ich nicht im Detail nacherzählen, da bereits eine Fülle von Rezensionen im Internet zu finden ist. Stattdessen möchte ich eine persönliche Einschätzung abgeben. Kurz zusammengefasst geht es in „Sterben“ um das schwierige Verhältnis des Ich-Erzählers zu seinem gruselig soziopathischen Vater, in „Lieben“ um die ebenfalls nicht unkomplizierte Beziehung mit seiner (späteren) Frau Linda. Ich fand es äußerst schwierig, zu einem Urteil zu kommen, war hin- und hergerissen zwischen Faszination und einem gewissen ästhetischen Unbehagen. Störendes Zunächst möchte ich auf das eingehen, was mich gestört hat, um dann mit dem Positiven enden zu können: Die Romane enthalten viele Reflexionen. Das ist etwas, was ich bei literarischen Werken im Allgemeinen sehr schätze. Bei Knausgard hatte ich allerdings oft das Gefühl, einen interessanten Gedanken eher zu ahnen als zu erfassen. Mir schien, es bedürfte präziserer und kraftvollerer Formulierungen, um die Gedanken vollständig zu tragen – die so zum Teil etwas nebulös bleiben. Da ich des Norwegischen nicht mächtig bin, kann ich mich hierbei natürlich nur auf die Übersetzung beziehen. Gut möglich, dass sich der Text im Original anders liest. Als problematisch habe ich auch die (zahlreichen) Schauplatzbeschreibungen empfunden. Meist sind sie sehr verschachtelt. „Hinter dem Haus lag ein Garten, in dem eine Hütte stand. Rechts davon war ein Rasenmäher zu sehen, während sich links davon eine weitere, kleinere Hütte befand, auf deren Fensterbrett eine Katze saß.“ Gut, ich gebe zu, das ist ein von mir erfundenes, leicht übertriebenes Beispiel, mit dem ich verdeutlichen will, was ich meine ... Ein klares Bild hatte ich anhand derartiger Schilderungen in der Regel nicht vor Augen, vielmehr habe ich diese Passagen als Hindernisse wahrgenommen, die man als Leser mühsam, aber ohne wirklichen Gewinn überklettert. Zudem bleiben viele Figuren farblos. Die Zahl der auftretenden Personen – die Mitschüler, Familienmitglieder, Freunde, Partnerinnen, Autorenkollegen usw. – ist indes auch gewaltig. Sehr lebendig werden andererseits Vater und Frau sowie der autobiografische Erzähler selbst. Positives Woran liegt es nun aber, dass die „Min kamp“-Bände für mich trotzdem die Art von Buch waren, die man weiterliest, gewissermaßen weiterlesen muss ? (Knausgard scheint sich dieser Wirkung auf seine Leser bewusst zu sein, denn er lässt sein Alter Ego Karl Ove etwas Ähnliches über eines seiner frühen Werke sagen.) Einer der Gründe dafür ist, scheint mir, der pure „Stoff“ – die zum Teil unglaublichen Begebenheiten, von denen der Autor erzählt. Etwa ist es eine ebenso grausige wie tief beeindruckende Szene, wenn beschrieben wird, wie Karl Ove, sein älterer Bruder Yngve und ihre Großmutter gemeinsam Wodka bechern. Sie tun dies nämlich im selben Haus, in dem ihr Vater bzw. Sohn sich zu Tode getrunken hat, und nur wenige Stunden nach dessen Ableben. Überdies stellt sich dabei heraus, dass die Großmutter anscheinend selbst schon tief im Alkoholismus steckt und wohl nur nicht wagte, im Beisein ihrer Enkel allein zur Flasche zu greifen. So dement, wie sie zunächst schien, ist sie offenbar aber nicht, denn Glas um Glas läuft sie zu alter Form auf. Auf der anderen Seite ist es die ungeschönte Darstellung von eher Unspektakulärem, Alltäglichem, die fasziniert. Zum Beispiel habe ich noch nie eine derart realistische, nicht verkitschte Beschreibung des Lebens mit Kleinkindern gelesen, die in der Literatur, wenn überhaupt, ja meist nur als eine Art dekoratives Element vorkommen. Generell ist die Erbarmungslosigkeit sich selbst gegenüber Knausgards Markenzeichen und die größte Stärke seines Schreibens. Es scheint, als kaschiere er so gut wie nichts. Knausgard nimmt es in Kauf, vor dem Leser oft ziemlich schlecht dazustehen. Meiner Meinung nach schafft er aber gerade dadurch eine Basis für Identifikation, denn kalt, egozentrisch usw. sind wir gelegentlich ja alle, auch wenn wir es uns nicht so gern eingestehen. Vielleicht ist eine solche Schonungslosigkeit überhaupt der einzig gangbare Weg, wenn man so nah am eigenen Leben erzählt (wie nah wirklich, das weiß natürlich nur Knausgard selbst) und zumal wenn das Werk den sicher auch im Norwegischen nicht ganz unverfänglichen Titel „Min kamp“ trägt (ins Deutsche wird das wohlweislich nicht übersetzt). Fazit Abschließend möchte ich betonen, dass sich die Knausgard-Lektüre lohnt, was sich meines Erachtens jedoch vor allem dem Inhalt und der Radikalität des Bekenntnisses verdankt. Wer ein fein ziseliertes literarisches Werk erwartet, könnte enttäuscht werden.